DDR: Wie Brecht sich sein Berliner Ensemble ertrotzte - Nachrichten Kultur - Literarische Welt - WELT ONLINE

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Drucken Bewerten Autor: Jürgen Hillesheim| 20.11.2010

Wie Brecht sich sein Berliner Ensemble ertrotzte

"Einfach lavieren": Bertolt Brecht war ein Meister der Taktik. Zwei bislang unbekannte Briefe zeigen seine Raffinesse.

Von der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg konnten kürzlich zwei bislang unbekannte Texte Bertolt Brechts aus den Fünfzigerjahren erworben werden. Sie bestätigen die Vermutung, dass Brechts nachhaltiger Erfolg sich auf auch seinem geradezu strategischen Durchsetzungsvermögen gegründet hat. Dieses bestand in nicht unerheblichem Maße aus Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Getreu dem Leitsatz, den er bereits 1922 ins ein Tagebuch schrieb und bis zum Lebensende konsequent umsetzen sollte: „Aber das Gesündeste ist doch einfach: Lavieren“. So gelang es ihm, sich auch in der DDR eine innere Unabhängigkeit zu bewahren. Dem Kommunismus gegenüber hatte er sich frühzeitig taktisch verhalten: Äußere Zustimmung ging einher mit künstlerischer Distanz.

Brechts Kampf ums Berliner Ensemble
Bertolt Brecht / Foto 1947
Foto: picture-alliance / akg-images Bertolt Brecht (1898-1956) kehrte 1948 aus seinem amerikanischen Exil nach Ost-Berlin zurück. Sein Ziel war es, in der wiederentstehenden Theaterszene eine maßgebliche Rolle zu spielen.

Die beiden Texte Brechts zeigen sein taktisches Kalkül bei der Etablierung eines eigenen Theaters in der DDR. Bei den Typoskripten handelt es sich um einen Brief an Helene Weigel, seine Frau, vom 31. Dezember 1953 und einen undatierten, vorher entstandenen Entwurf, in dem Brecht von sich selbst in der dritten Person spricht. Das Besondere an ihnen ist, dass sie seine Gedanken weitgehend ungefiltert zu spiegeln scheinen, da es sich bei den Texten um die Formulierung von Überlegungen handelt, auf deren Basis Brechts Frau, Helene Weigel, mit Vertretern der Kulturpolitik verhandeln sollte.

Bert Brecht – Stücke

"Die Bibel". Drama in 3 Scenen; 1913

"Baal"; 1918

"Trommeln in der Nacht"; 1919

"Die Hochzeit" (auch "Die Kleinbürgerhochzeit", Einakter);

"Er treibt einen Teufel aus" (Einakter); 1919

"Lux in Tenebris" (Einakter); 1919

"Der Bettler oder Der tote Hund" (Einakter); 1919

"Der Fischzug" (Einakter); 1919 "Prärie" (Opernlibretto); 1919

"Im Dickicht der Städte auch Im Dickicht"; 1921

"Leben Eduards des Zweiten von England"; 1923

"Hannibal" (Fragment); 1922

"Mann ist Mann"; [1918]-1926

"Fatzer" (Fragment; auch "Untergang des Egoisten Johann Fatzer"); 1926-1930

"Jae Fleischhacker in Chicago" (Fragment); 1924-1929

"Mahagonny" (Songspiel); 1927

"Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" (Opernlibretto); 1927-1929

"Die Dreigroschenoper"; 1928

"Der Ozeanflug" (auch "Der Lindberghflug", "Der Flug der Lindberghs"); 1928

"Das Badener Lehrstück vom Einverständnis" (auch "Lehrstück"); 1929

"Der Jasager. Der Neinsager" (Opernlibretti/Lehrstücke [Schuloper]); 1929-1930

"Die Maßnahme" (Lehrstück); 1930

"Die heilige Johanna der Schlachthöfe"; 1929

"Der Brotladen" (Fragment); 1929-1930

"Die Ausnahme und die Regel" (Lehrstück); 1931

"Die Mutter"; 1931

"Die Rundköpfe und die Spitzköpfe"; 1932-1936

"Die sieben Todsünden" (auch "Die sieben Todsünden der Kleinbürger"; Ballettlibretto); 1933

"Das wirkliche Leben des Jakob Gehherda" (Fragment); 1935?

"Die Horatier und die Kuriatier" (Lehrstück); 1935

"Die Gewehre der Frau Carrar"; 1936-1937

"Goliath" (Fragment – Opernlibretto); 1937

"Furcht und Elend des Dritten Reiches"; 1937-1938

"Leben des Galilei"; 1938-1939

"Dansen" (Einakter); 1939?

"Was kostet das Eisen?" (Einakter); 1939

"Mutter Courage und ihre Kinder"; 1939

"Das Verhör des Lukullus" (auch "Die Verurteilung des Lukullus"; Hörspiel, später Opernlibretto); 1939

"Der gute Mensch von Sezuan"; 1939

"Herr Puntila und sein Knecht Matti"; 1940

"Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui"; 1941

"Die Gesichte der Simone Machard" (auch "Die Stimmen"); 1941

"Schweyk im Zweiten Weltkrieg"; 1943

"The Duchess of Malfi" (nach John Webster); 1943

"Der kaukasische Kreidekreis"; 1944

Bearbeitung "Sophokles – Antigone"; 1947

"Die Tage der Commune"; 1949

Bearbeitung "Jakob Michael Reinhold Lenz – Der Hofmeister"; 1949

Bearbeitung "Gerhart Hauptmann – Biberpelz und roter Hahn"; 1950

Bearbeitung "William Shakespeare – Coriolanus"; 1951-1955

Bearbeitung "Anna Seghers – Der Prozess der Jeanne d'Arc in Rouen 1431"; 1952

"Turandot oder Der Kongreß der Weißwäscher"; 1953

Bearbeitung "Molière – Don Juan"; 1952

"Pauken und Trompeten" (nach George Farquhar)

Sie war die Intendantin des 1949 gegründeten Berliner Ensembles, Brecht formal ihr Angestellter. Sofort nach Brechts Rückkehr nach Berlin wollte er als Spielstätte eines neuen Ensembles das Theater am Schiffbauerdamm, an dem 1928 die Uraufführung der Dreigroschenoper stattgefunden hatte. Der Schauspieler und Theaterregisseur Fritz Wisten war hier noch Intendant und keineswegs erfreut, von Brecht verdrängt zu werden. Entsprechend gespannt war das Verhältnis, beide lehnten schon Anfang 1949 jegliche Zusammenarbeit ab.

Erst auf Beschluss des Politbüros der SED vom 25. August 1953 bekam das Berliner Ensemble das Theater am Schiffbauerdamm zur Verfügung gestellt. Wisten leitete später die Volksbühne Berlin. Zuvor hatte das Berliner Ensemble Gastrecht im von Wolfgang Langhoff geführten Deutschen Theater. Politische Differenzen, verschiedene theatertheoretische Auffassungen, aber auch Brechts unbedingter Wille, sich Platz im Kulturleben zu verschaffen, belasteten auch deren Zusammenarbeit, obwohl Langhoff sich als einer der ersten für Brechts Kunst nach dessen Rückkehr aus dem Exil eingesetzt und ihn und Helene Weigel als erster offiziell in die DDR eingeladen hatte.

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Keine Aufführungen bis zur Friedenskonferenz

Beide Dokumente reflektieren eindrücklich diese Konkurrenzsituationen, aus denen Brecht als Sieger hervorgehen sollte und keine Übergangssituationen hinzunehmen bereit war. „Würdige Arbeitsbedingungen“ fordert er, in dieser Formulierung freilich nur an die Weigel adressiert, von der DDR. Das Typoskript zeigt, dass die ursprüngliche, nachträglich getilgte Formulierung gar „menschenwürdig“ lautete. Seine taktische Devise ist jedoch eine andere: Mit Hinweis auf den bevorstehenden Weltfriedenskongress, das sozialistische Großereignis, bei dem Brecht am 28. Mai 1954 seine berühmte Rede über die Bedrohung durch das Atomzeitalter halten sollte, betont er, dass das Verbleiben Wistens im Theater am Schiffbauerdamm wohl Aufführungen des Berliner Ensembles bis zur Friedenskonferenz unmöglich machen würde.

Er schreibt an Helene Weigel: „Unterstützung wirksamer Art, sagst Du, kannst Du nicht bekommen. Damit werden Aufführungen des Berliner Ensembles während der Konferenz [...] nicht mehr stattfinden können – was einigen Leuten vielleicht nicht sehr leid tut. Ich selber aber kann mich nicht bereit finden, weitere Monate an sinnlose Arbeit zu verschwenden – außerdem komme ich mir vor den Schauspielern langsam komisch vor.“

Streit um die Probebühne des Deutschen Theaters

Offenbar hatte er Erfolg: Bereits am 19. März 1954 konnte er mit der Bearbeitung von Molières "Don Juan" sein neues Theater eröffnen und Wisten so endgültig verdrängen. Zuvor hatte Brecht sich um das Probenhaus in der Reinhardtstraße zu streiten, das dem Deutschen Theater vom Berliner Ensemble bei Bedarf zur Verfügung gestellt, nun aber von Langhoff gänzlich beansprucht wurde. Brecht verlangt in seinem Textentwurf, die Probebühne behalten zu können und erwartet dies als Geste der DDR nicht zuletzt seinem Genius, der eigenen immensen Bedeutung als Künstler gegenüber: „Vor allem aber betrachtet Brecht das Probenhaus, das eine ganz einmalige, in Europa nirgends vorkommende Einrichtung ist – und auch im Ausland als Beweis der Großzügigkeit der DDR gegenüber der Kunst und gegenüber Brecht angesehen wird, als etwas durchaus Historisches. Es muss mit seinem und dem Namen des B.E. verbunden bleiben.“

Hier hatte Brecht, wie seine handschriftliche Ergänzung des Typoskripts zeigt, zumindest erwogen, die Kräfte ins Spiel zu bringen, denen er an anderer Stelle vorwarf, ihm unwürdige Bedingungen zuzumuten. Denn wer sonst außer staatlicher Instanzen wären in der Lage gewesen, Langhoff, wenn dieser die „Ansicht Brechts über Brecht nicht teilen“ sollte, zu „belehren“?

Der Autor ist Leiter der Brecht-Forschungsstätte Augsburg.


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